1. Preis KSV
1. Preis des Kärntner Schriftsteller Verbandes
"eng, eigentlich...."
Anfang und Ende liegen hier. Verbunden durch den Knoten, den eine Generation der
anderen weiterreicht.
Das Lecken am Keltischen.
Das Waten im Christentum.
Das Schielen nach dem Knechtstum.
Das grinsende Schwermütige.
Die Wildheit.
Die Schande.
Die Verdammnis.
Die Gewissensbisse.
Die unerbittlich traurigen Hyänen.
Das Umherstreichen der Spreu.
Die Teilnahmslosigkeit.
Das Getrappel der Angst.
So sollte es sein.
Anfang und Ende liegen hier. Aber was liegt dazwischen? Und, vor allem, wo liegt es?
Einfach wäre es, gäbe es nur einen Kern, der alles in sich birgt. Drei mal drei Engel, sieben mal sieben Heilige, die unverirrt verharrten innerhalb der vorgezeichneten Umhüllung.
Doch nichts dergleichen zeichnet sie aus.
Die Erinnerung an ihren breitkatzigen Mund und das Gängelband, mit dem sie mich hält, seitdem ich fort gegangen bin.
Der Nachklang ihrer Stimme in meiner Ohrwindung.
Ihr lautes, dialektöses Getöse über diese unheilbare Krankheit, der nichteinmal sie in ihrer selbstgeschaffenen Quarantäne entkommen kann.
Nur tannengezapfte, gebirgsbächige, monotone Grabgesänge, sagte sie.
Ein kaftanfeindliches, kaffeehausungewöhntes Krankland.
Vergiss nicht den Widerhall der touristischen Prostitution.
Lausche den terretorialen Taubheiten.
Schau auf die ehrenbewahrenden Erzeisenbeisser.
Die Eierbewahrer.
Die Einmannchöre.
Begriffe wollte sie, Diagnosen usw. in ihrem Garten, weil ihr wiedereinmal aufgefallen war, wie beunruhigend bodenständig, aufreizend musikalisch, eindeutig eindimensional es rund um sie ist, dass dieses Blutsgemisch nur aus der Ferne exotisch
aussieht, usw.usf.
Wenn ich, was selten genug vorkommt, sagte sie, mein Exil verlasse, und dann mehr als drei Kulturschaffende zusammen sehe, habe ich das dringende Gefühl, sofort flüchten zu müssen, verschwinden wie gewärmter Gletscher.
Die Vorstellung gefällt mir.
Kunst, sagte sie, sei immer schon ausserhalb entstanden, und das, was da wäre, sei Kultur, und die würden sie vor sich hergetragen, schildhaft, wehrhaft, als ob ich das nicht wüsste. Als ob ich nicht auch deswegen fortgegangen bin.
Das Gezwitscher der Gefiederten aus ihrer schillernden Oase im Telefonhörer dachte ich an ihren Mund, an die Willenlosigkeiten, das Speichelfäden sammeln, an
blasphemisches Blasen.
Sie aber wollte Ferndiagnosen.
Paranoide Sesshaftigkeit?
Ringsum, sagte sie. Reihenweise Reihenhausbesitzer. Rauhmengig
Rasenmäherschieber.
Ranunkelpflanzende Rabenmütter.
Sie lachte.
Rosige Rosinenkinder. Rückwärtsdenkende Rhabarbergestalten.
Revolutionäre Rundfunkanstalten, schlug ich vor, aber sie wollte davon nichts hören.
Regelmässiger Rechtsverkehr, raunte sie.
Nichts wirklich Neues also.
Dieses auf die sakrale, das auf die politische Ebene heben, wie in jenem Landstrich üblich, diese Vergangenheitsbeschwörungen und die seltsamen Riten aller, seien sie nachbarschaftlich noch so nah; so wie sie sich anhörte, war der Bazillus (den wir ja
alle in uns tragen) nun auch bei ihr ausgebrochen.
Nicht in jenem Ernst, der üblicherweise damit verbunden ist, nicht in der Verbissenheit von flammenden Bergfeuern, nicht in der Beschwörung von Abgrenzungen; anders verbissen, anders abgrenzend. Kein nein nuschelndes Negativ, vielmehr nebelverhangen.
Ein nervöser Nekrolog auf das Narbenhafte, das Notenstichige, der auf mich einprasselte, der die Sehnsucht nach ihr aufleben ließ und in der Wiederholung meinen Weggang als richtig bestätigte.
Ihre Stimme, eng an meinem Ohr, dieser Katzenmund, diese Fleischeslippen, dieser weiche Singsang der mich trug, mit dem sie mich herbeigeredet hat, immer schon.
Planmässige Planetenkonstellationen würden sie plagen, und gekicherte Grauzonen, und getriebene Gutseelen. Gehörnte Gutshofbesitzer würden sie plagen, sagte sie, und überhaupt würden Gutshofbesitzer Gehirnverlust garantieren, und Grauzonen Gewichtsverlust usw. usf.
Gutseelen hingegen, hat sie gesagt, Gutseelen hingegen garantieren gar nichts.
Geh, habe ich gesagt. Geh Genuawärts.
Ich glaube gutherzigen Großmännern nicht.
Höchstens Gladiolensträußen.
Manchmal.
Du bleibst also.
Ich überlasse das Feld nicht den Ährenabschneidern.
Den Äugenden.
Den Äquatorfürchtern.
Pflanze halt weiterhin deine Ringelblumen.
Ranunkeln. Bleibe weiterhin Rabenmutter. Herze dein Rosinenkind.
Wann wirst du wiederkommen?
Ich bleibe fern. Fern von Tonleiternächten und tuberkolösen Tänzen, fern von Trios, Terzen, Terzetten. Fern den tendenziell Theaterinterssierten, den tendenziös
Tannhäusergeschädigten, den Terretorienbewahrern.
Man muss sich mit den Tieren und Erdgeistern verbinden usw. usf.
Meine Liebe, sagte ich.
Schweig.
Wunde Punkte, die nicht angesprochen werden dürfen. Ganz so, wie man es hält in jenem Landstrich hält, aus dem wir beide kommen. Wie bei uns. Ganz wie zwischen uns beiden. Und wir haben nicht Boden, nicht Blut, vielleicht ein wenig vom Mythos,
vielleicht. Keine Toten haben wir, keine getränkten Grenzen, nur Kämpfe hatten wir, Abwehr, und vereinzelten Widerstand.
Du dicklippige Dochnichtdame, hätte ich ihr sagen sollen, du Drumherumrederin,
Devotionalienliebhaberin, du Darüberträumende, Dahinterblickenwollende, ich
schicke dir Dalien, hätte ich sagen sollen, dir, die dort gar nichts hält. Keine Worte,
keine Bilder, kein Blut, kein Boden, kein Mythos, höchstens die Feigheit, für die ist dort immer schon ein guter Nährboden gewesen.
Wann wirst du wiederkommen?
Vielleicht in der Stunde meines Todes, vielleicht wird mich meine Seele dann zurückführen.
Wie wird sie sein?
Die Seele? Verwirrt wird sie sein und unsicher, ohne den Körper. Ganz auf sich alleine gestellt.
Was wird sie tun?
Vielleicht wird sie hineinspringen in die Töne der Musik, das ist meine Medizin gewesen. Immer. Das Allerheiligste in aller Vereinsamung und Trostlosigkeit. Einem Schlafwandler gleich wird sie treiben.
Sei gegrüßt, du Würdenträger, du Nervenarzt, du Kolonie.
Mein Brustkorb wird sich heben und senken wie der Blasebalg jener Orgel, auf der ich gespielt habe, in der Kirche meiner Kindheit. Vielleicht bringt sie mich in die steinerne
Ruhe des Glaubens.
O kakor v nebesih.
Die unverstandene Monotonie der betenden Frauen wird mich beruhigen.
Einfach wäre es, gäbe es nur einen Kern, der alles in sich birgt. Drei mal drei Engel, sieben mal sieben Heilige, die unverirrt verharrten innerhalb der vorgezeichneten Umhüllung. Doch nichts dergleichen zeichnet sie aus.
Das Land ist jetzt an manchen Stellen lithografiert. Von Geomanten. Deren Steine wirken angeblich wie Akupunkturnadeln. Vielleicht ist alles nur die anfängliche Symptomverschlechterung, vielleicht hat der Heilungsprozess längst eingesetzt, sagte sie.
Natürlich existieren sie noch, die Granitbeisser, die Gallespucker, die Bodenwehrer. Aber solange solche nachwachsen, die das Erbe der Väter verkaufen, besteht nochHoffnung, sagte sie.
Und damit waren wir wieder an einem der wunden Punkte.
Das Leiden verringern.
Den Vorgang beschleunigen.
Das Erbe nicht antreten.
Den Knoten durchschneiden.
Einen schnellen Schnitt setzen.
So soll es sein.
Einfach wäre es, wenn es nur diesen einsamen Kern innerhalb der harten Schale, einer Nuss gleich, gäbe, und drei mal drei Engel und sieben mal sieben Heilige würden auf diesem Kern, der alles in sich birgt, die Wahrheit und die Geschichten und dieTräume, Ormamenten gleich verharren, unverirrt. Doch selbst in meinem letzten Atemzug wird es mich fortziehen, weg von der Wahrheit und allem, dem ich mißtraue, der neidigen Glut des Feuers und den neugierigen Herzen.
Sie wird weiterhin Gutsbesitzer hörnen, sich omnipotenten Ochsenschwänzen hingeben und petersillienpflanzende, Pelargonien pickierende Pflaumenköpfe verachten. Hoffen, dass die rückwärtsdenkenden Rhabarbergestalten nur mehr spärlich
nachwachsen. Unerschüttlich glauben, dass der Heilungsprozess vielleicht doch schon eingesetzt hat. Vielleicht hat sie recht. Vielleicht ist all das, wofür sie Begriffe, Diagnosen wollte (uneindeutige Schizophrenie? Phobie vor Klaustrophobie?) längst
am Zerfallen. Wie mein krausgespinstiges Suppenhirn, das sich allmählich auflöst:
Kanaltalwärts. Karawankengewehrt.
Die Vorbereitung zu diesem einen, schmerzhaften Schritt, begleitet von ihremnervösen Nekrolog.
Dieser Katzenmund, diese Fleischeslippen, dieser weiche Singsang der mich trug, mit dem sie mich herbeigeredet hat, immer schon.
Das Leiden verringern.
Den Vorgang beschleunigen.
Das Erbe nicht antreten.
Den Knoten durchschneiden.
Einen schnellen Schnitt setzen.
So soll es sein.
Mit einem kleinen, fast unüberhörbaren Laut schnellt sie aus meinem Leib. Keuchend und widerwillig.
Sie bringt mich dorthin zurück, wo jede verzweifelte Seele beginnen würde: Mit aller Wucht prallt sie gegen das Gesicht der Mutter.